HAJOSCH Artikel in die BS Jubiläumsausgabe Aug. 2017

Hajosch ist eine der kleinsten Städte Ungarns, aber – für seine Einwohner – die wertvollste Siedlung der Welt. Klein und wertvoll, wie eine Perle, deren Schönheit durch den Schweiß der Jahrhunderte entstanden ist.

Die Ortschaft wurde schon im 14. Jahrhundert in Urkunden erwähnt, doch während der Türkenzeit verschwand ihre ungarische Bevölkerung. Auf Initiative des Gutsherrn der Gegend wurden am Anfang des 18. Jahrhunderts Siedler aus Oberschwaben nach Hajosch gerufen, um das entvölkerte Dorf neu aufzubauen und die Felder zu bearbeiten. Von den 80-90 Ortschaften Süddeutschlands brachten die schwäbischen Bauern und Handwerker ihre Sprache, ihre Kenntnisse, ihren Fleiß, und vom Bussenberg sogar die wundertätige Muttergottes-Staue ins fremde Ungarnland mit. Sie ließen die Siedlung aufblühen, und haben mit Unterstützung des Erzbischofs von Kalocsa außer ihren Wohnhäusern auch die Kirche, das Jagdschloss und das Kellerdorf – die Wahrzeichen von Hajosch – errichtet. Eine sich ständig entwickelnde „schwäbische Insel“ in Südungarn, ab 1756 eine Ortschaft mit Marktrecht, das war Hajosch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Am Ende des 2. Weltkrieges begannen dann auch für die Hajoscher Schwaben die „Tränenjahre“: Malenkij robot in Russland, Vertreibung von ihren Häusern, die Aussiedlung nach Deutschland…Ihr Glaube, ihr Lebenswille und die Treue zu ihrer Heimatgemeinde brachten die überlebenden der Zwangsarbeits- und Internierungslager nach Hajosch zurück, und man hat wieder von neuem angefangen. Der Wirbelwind der Geschichte wehte inzwischen auch neue Bewohner nach Hajosch: Agrarproletarier von der ungarischen Tiefebene und Ungarn von der Slowakei (Felvidék). Niemand hatte es leicht, es ist viel Leid geschehen, doch die Hajoscher haben in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, zum Wohle von allen friedlich zusammen zu leben, und sich gegenseitig zu schätzen. Die „Meilensteine“ der Ortsgeschichte – der Ansiedlungsstein, das Vertreibungsdenkmal, das Denkmal der aus Oberungarn Umgesiedelten, und das 2016 eingeweihte Malenkij robot-Denkmal – sind in der vor 300 Jahren zuerst erbauten Gasse (heute Rákóczi Straße) zu besichtigen. Auch zahlreiche Bücher – davon einige in der jüngsten Vergangenheit erschienen – bieten den Interessenten die Gelegenheit, die Geschichte, die Kultur und die Mentalität der Hajoscher Schwaben kennenzulernen.
Die schwäbischen Traditionen neu zu beleben – mit diesem Ziel wurde 1963 die Hajoscher Volkstanzgruppe und 1999 der Schwäbische Chor gegründet, die ab 2010 im Rahmen des Hajoscher Traditionspflegenden Volkstanzvereins ihre Tätigkeit ausüben, und als Motor des Kulturlebens bei zahlreichen Veranstaltungen mitwirken. Das Jubiläumsfest zum 50. Geburtstag der Tanzgruppe im Juli 2013 wirkte selber als traditionsstiftende Feier: Seitdem wird jeden Sommer ein Tracht- und Tanztag organisiert, wo viele Hajoscher ihre schwäbische Tracht anziehen und am Festumzug teilnehmen, um ihre Zugehörigkeit zum Ungarndeutschtum zu beteuern. Es gibt noch weitere Programme, die die Deutsche Selbstverwaltung von Hajosch unter aktiver Mitwirkung des Volkstanzvereins – in dessen 5 Tanzgruppen und mehreren Chören alle Altersgruppen von den Kindergartenkindern bis zu den Rentnern vertreten sind – regelmäßig veranstaltet, im Januar die Gedenkfeier am Tag der Vertreibung der Ungarndeutschen, den Nationalitätentag, im November die Gedenkveranstaltung der Verschleppung und den Schwabenball.

Außer der Erforschung der Vergangenheit, der Veranstaltung von Gedenkfeiern und traditionspflegenden Programmen, die auch zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls dienen, hat sich die Hajoscher Deutsche Selbstverwaltung zur Aufgabe gemacht, zukunftweisende Projekte zu starten. So hat sie 2016 die Trägerschaft des Hajoscher Kindergartens bzw. der Sankt Emmerich-Grundschule übernommen. Die Schaffung von optimalen personellen und technischen Voraussetzungen soll zur Erhöhung der Qualität der deutschen Nationalitätenerziehung und –bildung, sowie zur Herausbildung und Stärkung der ungarndeutschen Identität beitragen. Es soll erreicht werden, dass Kinder die deutsche – womöglich auch die schwäbische – Sprache kennenlernen, und diese in unterschiedlichen Situationen aktiv benutzen.  Die erste offizielle deutsch- ungarische Städtepartnerschaft, die zwischen Hirrlingen und Hajosch besteht, soll den Hajoscher Jugendlichen die Gelegenheit eröffnen, bei einem Aufenthalt in Deutschland ihre Sprachkenntnisse zu erweitern. So wird es hoffentlich auch in 300 Jahren noch Leute auf dem Hajoscher Weinberg und unten in der Stadt geben, die stolz von sich behaupten: „Ich bin ein Hajoscher!“

Theresia Szauter

Fotos: Robert Ginál

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Malenkij robot-Denkmal